"Was machen Sie beruflich?"
Wie oft hast du diese Frage gehört? Wahrscheinlich von jedem, der dich zum ersten Mal sah. Vor allem in Deutschland definiert man sich in erster Linie durch Beruf und Leistung. Ich bin Ingenieur. Ich bin Arzt. Ich bin Anwalt. Ich bin Künstler. (Schon gut, aber wie heißt du eigentlich?)
Sobald du die Tür deiner Praxis oder Kanzlei von außen abschließt, bist du kein Arzt bzw. kein Anwalt mehr. Steigst du aus dem Auto aus, bist du kein Fahrer, verlässt die Küche – keine Köchin. Das einzige, was du immer bist und bleibst, ist entweder ein Mann oder eine Frau. Sonst nichts.
Klingt ziemlich öde. Ganz besonders für die Künstler.
Ja, es gibt Künstler, die stets und immer solche bleiben wollen, auch wenn sie ihr Atelier verlassen. Es gibt Schauspieler, die es nicht aufhören können, Schauspieler zu sein, auch wenn sie schon längst von der Bühne abgestiegen sind, sich umgezogen und Schminke entfernt haben. Und irgendwann erfahren wir, dass einer von ihnen an Drogen oder Alkohol gestorben oder in der Psychiatrie gelandet ist. Das ist die übliche Rechnung dafür, dass man sich ausschließlich durch eigene Talente, Fähigkeiten oder Leistungen identifiziert.
Dieser Versuchung zu widerstehen ist nicht einfach, und nicht nur für die Künstler. In technischen und naturwissenschaftlichen Berufen geschieht dasselbe, wenn auch eher in Form von Perfektionismus.
„Aber was ist daran so schlimm? Es ist doch wunderbar, wenn einer seine Arbeit perfekt machen will!“
Stimmt schon. Solche Leute sind die Säule der deutschen Industrie. Ihnen ist es zu verdanken, dass die deutschen Erzeugnisse weltweit immer noch einen ganz besonderen Ruf genießen und unser Wohlstand immer noch relativ gut gesichert ist.
Aber mal ehrlich: wie fühlt es sich an, dauerhaft in der Nähe von solchen Kollegen oder Chefs zu sein? Bei manchen, wenigen, ganz gut. Aber bei den meisten irgendwie unangenehm – warum eigentlich? Sie sind doch perfekt und tun alles richtig. Die Sache ist die: Perfektionismus ist oft mit der Neigung gepaart, die anderen um sich herum zu verurteilen - ganz besonders diejenigen, die bei allen Imperfektionen genauso erfolgreich oder sogar erfolgreicher sind, dazu noch körperlich gesünder sowie glücklicher und zufriedener im Privatleben.
Um sich innerlich zu beruhigen, glaubt ein Perfektionist, es sei ein Zufall, aber das stimmt nicht. Das hat nämlich einen klaren Grund: die anderen, die mit weniger Leistung erfolgreicher und glücklicher sind, definieren sich nicht durch ihren Beruf und wie perfekt sie alles tun, sondern ausschließlich dadurch, was sie waren, sind und bleiben, nämlich Männer und Frauen.
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